Schluss mit dem Drumherumreden!
Geriatrie ist Altersmedizin.

Deswegen hat sie, wie die Kinderheilkunde das für die Kleinen tut, sich die umfassende („ganzheitliche“) Behandlung des älteren und betagten Menschen zur Aufgabe gemacht. Dabei darf dieser Mensch unter Umständen auch ein „junger Alter“ sein, dann nämlich, wenn er eine Krankheit erleidet, die für gewöhnlich dem höheren Lebensalter zugeordnet wird.
Anders als andere Fachbereiche der Medizin - mit Ausnahme eben der Kinderheilkunde - ist Geriatrie nicht spezialisiert auf Erkrankungen und Funktionsstörungen einzelner Organsysteme, sondern richtet sich aus auf den erkrankten Menschen als ganzen in einer bestimmten Lebensphase. Sie orientiert sich an seinen besonderen Lebens- und Krankheitsbedingungen. Dabei versucht sie, möglichst alle seine gesundheitlichen Probleme zu erkennen. Sie erfasst gleichzeitig altersbedingte körperliche und geistig-seelische Einschränkungen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen, und berücksichtigt sein gesellschaftliches Umfeld: Ältere Menschen sind in unserer auf Individualität ausgerichteten Gesellschaft häufig isoliert, vereinsamt, hilflos und sozial unterversorgt

Altersmedizin besitzt selbst erarbeitetes Spezialwissen über den älteren Patienten und eignet sich Kenntnisse aus einer Reihe „benachbarter“ Disziplinen wie Innere Medizin, Neurologie, Orthopädie, Urologie, Psychiatrie, Psychologie und Sozialarbeit an.

Wie haben wir uns einen „typischen“ geriatrischen Patienten vorzustellen?

Er ist nicht mehr grün hinter den Ohren, also z. B. so etwa über 70 Jahre alt und im Allgemeinen multimorbide. Das heißt., er leidet gleichzeitig an mehreren ihn beeinträchtigenden Gesundheitsstörungen. Seine Krankheit setzt ihm besonders zu dadurch, dass er im Alltag vielleicht nicht mehr jederzeit und überall so reibungslos „funktioniert“ wie in früheren Jahren. Und dann gibt es da noch die wirklich Alten, so ab 80 bis 85, die immer gesund, topfit und selbstständig waren, bis sie schließlich doch krank werden. Diese Menschen sind besonders gefährdet dadurch, dass ihr Organismus, weil er eben älter ist, empfindlicher auf Krankheit und Behandlungsmaßnahmen reagiert.
Es ist eine Binsenweisheit, dass die körperliche und geistig-seelische Anpassungsfähigkeit im Alter abnimmt: Ältere Menschen haben ein hohes Risiko, ihre Selbstständigkeit im Alltag zu verlieren, chronisch zu erkranken, pflegebedürftig zu werden. Sie entwickeln im Erkrankungsfalle häufiger Komplikationen wie Thrombosen, Krankenhausinfektionen, Liegegeschwüre, sind empfänglicher für Neben- und Wechselwirkungen von Arzneimitteln und in hoher Gefahr, auf Dauer ihre Autonomie einzubüßen.

Beispiele für „typische“ Erkrankungen, Schädigungen und Fähigkeitsstörungen des älteren Menschen sind:

Schlaganfall, Erkrankungen des Bewegungsapparats, Störungen der Ernährung und des Flüssigkeitshaushalts, chronische Erkrankungen des Herz- Kreislauf- und Gefäßsystems und der Atmungsorgane, Gangstörungen, Stürze, Schwindel, Kontinenzprobleme, chronische Schmerzen, chronische Wunden, Folgezustände nach Knochenbrüchen, Gelenkersatz oder schweren Operationen. Dazu kommt das weite Feld der geistig-seelischen Beeinträchtigungen insbesondere im Zusammenhang mit demenziellen Erkrankungsprozessen.

Um den vielfältigen Problemen ihrer Patienten gerecht zu werden, hat die Geriatrie ein besonderes Verfahren der Befunderhebung entwickelt, das „Geriatrische Assessment“. In diesem werden erfasst die akuten, chronischen und miteinander verknüpften Gesundheitsstörungen des Patienten, seine funktionellen Einbußen, Defizite im zwischenmenschlichen Kontakt und Verluste an Selbstständigkeit im Alltag. Neben der medizinischen Diagnostik wird dabei durch verschiedene Berufsgruppen, ohne den Patienten zu belasten, geschätzt, wie seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, seine seelische Stimmung, die Fähigkeit zur Selbsthilfe und seine soziale Einbindung beschaffen sind.

In Abhängigkeit von dem so gewonnenen Wissen kann dem Patienten dann ein besonderes und in der Medizin nahezu einzigartiges Behandlungsangebot gemacht werden:
Hierbei arbeitet unter fachärztlicher Leitung und Anweisung je nach Erfordernis das Geriatrische Team mit dem Patienten an der Bewältigung seiner krankheitsbedingten und mit der Erkrankung verknüpften Probleme. Dieses Team besteht neben dem Arzt aus besonders in aktivierender Pflege kundigen Krankenschwestern/ -pflegern, Krankengymnast/Innen, Ergotherapeut/Innen, Sprach- und Schlucktherapeut/Innen und Sozialarbeiter/Innen, die ihre Tätigkeit in regelmäßigen Teambesprechungen den Fortschritten des Patienten wie eventuellen Rückschlägen im Gesundungsprozess anpassen.
Wichtig ist dabei, dass im Konzept der Teambehandlung von Beginn der Erkrankung an die Rehabilitation des Patienten mit der akutmedizinischen Therapie untrennbar verbunden ist.

Schließlich existiert mit der Geriatrischen Tagesklinik die Möglichkeit, diejenigen Patienten, welche in ihrem Wohnumfeld pflegerisch gut versorgt sind oder die keinen hohen Pflegebedarf haben, aber regelmäßiger ärztlicher Überwachung und Behandlung sowie gleichzeitig intensiver übender und rehabilitierender Therapie bedürfen, während der Arbeitswoche zu untersuchen und bedarfsgerecht zu behandeln, ohne dass sie ihr Lebensumfeld über Nacht und am Wochenende verlassen müssen. Dies ist besonders sinnvoll, um im Falle der Verschlechterung chronischer Gesundheits- und Fähigkeitsstörungen, wie z. B. nach Schlaganfall, bei Gangstörungen anderer Ursache, chronischen Schmerzen oder bei Demenzerkrankungen, vollstationäre Krankenhausbehandlung mit dem Risiko des zusätzlichen Autonomieverlustes zu vermeiden. Andererseits kann durch die Tagesklinik am Ende der Akutphase einer durchlebten Erkrankung der Übergang aus dem Krankenhaus in das gewohnte oder auch ein neues Lebensumfeld erleichtert werden.


Dr. med. Peter Thomaßen
Facharzt für Innere Medizin/Klinische Geriatrie
Cäcilien-Hospital, Krefeld / Hüls