VON STETTIN ÃœBER HOLZHAUSEN NACH FLORENZ

Wird es schlimmer, bevor es besser wird? – KUNDUZ im Jahr 2009

Kunduz/Afghanistan Anfang Januar 2009 – kg
Jahreswechsel beflügeln in die Glaskugel zu schauen und die Frage nach dem "wie wird es denn werden" zu stellen. Für den Einsatz der deutschen Soldaten in Afghanistan gilt dasselbe. Das Krisengebiet Afghanistan hält an allen Einsatzorten der 3.500 Soldaten, ob in Mazar-e-Sharif, Kabul oder Feysabad Gefahren bereit.

Den absoluten Hot-Spot allerdings, quasi ein Pulverfass, erleben die 650 Soldaten und zivilen Mitarbeiter des deutschen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team – PRT) in Kunduz. Raketenangriffe auf das Feldlager, Hinterhalte auf Erkundungstrupps, Sprengfallen gegen vorbeifahrende Aufklärungsfahrzeuge, Selbstmordanschläge auf Patrouillen wechseln sich im wöchentlichen Rhythmus ab, sie gehören zur Normalität des Einsatzes in Kunduz. Das PRT beklagt seit September 2008 drei gefallene Soldaten und eine erkleckliche Anzahl Verletze.

Jeden Anschlag – ob geglückt oder auch nicht – feiern die Aufständischen oder "Insurgents" mit propagandistischen Falschmeldungen als ein Symbol ihres Kampfes gegen das, was die überwältigende Mehrheit der afghanischen Bevölkerung in der Provinz Kunduz und afghanistanweit gutheißt, nämlich die Unterstützung von ISAF und der internationalen Gemeinschaft. Und sie haben den "Erfolg", dass ein großer Teil der Energie und Kräfte des PRT nicht für die eigentliche Arbeit, Schutz und Begleitung der Erkundung und Durchführung des Wiederaufbaues zur Verfügung steht.

Oberst Uwe Benecke, seit zwei Monaten Kommandeur im PRT, sieht für eine kurzfristig sich auswirkende Verbesserung der problematischen Sicherheitslage zwei Ansätze:
Die religiös und politisch motivierten Auständischen, die kriminellen Waffen- und Drogenschieber und Warlords mit eigenen Aktionen ständig unter Druck setzen.
Und "General Winter".

Langfristig ist er sich mit seinem Partner in der Führung des PRT, Dr. Peter Ptassek vom Auswärtigen Amt, in zwei Dingen einig: "Kein sichtbarer und nachhaltiger Wiederaufbau ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und umgekehrt– zwei Seiten derselben Medaille!"
Und die ab Frühjahr in Kunduz eintreffenden zusätzlichen Kräfte der Afghanisch Nationalen Armee (ANA) schnellst möglich mit Hilfe der deutschen und belgischen Beratungs- und Ausbildungsmentoren (Operational Mentoring Liasion Team – OMLT) operabel machen: "Zusammen mit der weiter aufwachsenden und sich konsolidierenden Polizei und anderen afghanischen Sicherheitskräften werden wir dann "joint and combined" auch in der Fläche aller Distrikte der Provinzen Kunduz und Takhar ständig präsent sein können."

Dies ist zumindest eine der Grundvoraussetzungen, dass die Lebensgefahr für die ISAF-Wohlgesonnen unter den Afghanen, und die Bedrohung und Einschüchterung der Abwartenden aufhört und sich so etwas wie Zivilcourage in den Dorfgemeinschaften entwickelt. Und dass es zu einer fühlbaren Verbesserung der Lebensbedingungen in den landwirtschaftlich mittelalterlich geprägten Distrikten kommen kann.

Für Dr. Ptassek, den Kopf der zivilen Mannschaft des PRT aus Auswärtigem Amt, Entwicklungsministerium BMZ, Innenministerium, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Kreditanstalt für Wiederaufbau und Deutschem Entwicklungsdienst (AA, BMI, BMZ, GTZ, KfW, ded) ist alles nicht so schlecht, nur vieles langsam, sehr langsam. Außerdem sei hier in der Provinz Kunduz mehr Aufbau statt Wiederaufbau gefragt. Und die Konzentration auf Grundbedürfnisse und das, was die fruchtbare Region Kunduz ausmacht – den Brotkorb von Afghanistan. "Die Bauern beackern ihre Felder mit Ochsengespannen und vorsintflutlichen Holzpflügen. Sie sääen mit Hand aus. Und sie haben keinerlei Vermarktungs- und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten für ihre Früchte, ausser den Basar von Kunduz. Und den erreichen sie, wenn überhaupt, erst nach stundenlangem Marsch über Buckelpfade und Schotterpisten mit dem Esel. Das muss endlich der Vergangenheit angehören".

Dazu gehört auch die einzigste einspurige und höchst baufällige Brücke über den Kunduz-Fluss im weiten Umkreis. Schon ewig geplant, vom Kabuler Ministerium beschlossen, die sechs Millionen deutsche EURO liegen bereit, aber gebaut wird nicht, weil erstens noch zwei Grundstücke von einem einflussreichen Clan enteignet und entschädigt werden müssen und vor allem zweitens, die Brückenstelle an den unsichersten und gefährlichsten Distrikt überhaupt angrenzt. Firmen und Bauarbeiter mit Angst vor Anschlägen auf ihr Leben oder ihre Arbeit werden keine Brücke bauen.

Der Kreis zur Glaskugel schließt sich. Viele Afghanen, auch in Kunduz, erhoffen sich neuen Schwung weniger von ihrem nächsten afghanischen Präsidenten der im Mai gewählt werden soll als vom bereits gewählten amerikanischen Barack Obama. Ob überhaupt, wann, wie und wo der frische Wind kommt und ob es Rückenwind ist, das ist in der Kristallkugel derzeit nicht auszumachen.

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